Verlag die Waage        

Geschichte des Verlags die Waage, Zürich

Der Verlag die Waage wurde 1951 von Felix M. Wiesner gegründet. Der Verlagsgründer, 1920 in Wien geboren, studierte in Zürich Germanistik sowie vergleichende Literaturwissenschaft, russische Sprache, indische Philosophie und Religionsgeschichte. Zuerst Lektor beim Manesse Verlag,
Felix M. Wiesner
bereiste er ab 1950 für die Verlage Arche, Diogenes, Walter, Bucher, Scherz, Ringier u.a. sowie für seinen eigenen Verlag den Schweizer Buchhandel als Vertreter. Mit der Waage wünschte er sich einen Verlag, welcher von hohem Anspruch literarischer und weltanschaulicher Art sowie vom redaktionellen und bibliophilen Perfektionismus geprägt sein sollte. Der Name des Verlags war Programm: im Sinne der chinesischen Yin-Yang-Polarität sollten sich Werke des Westens und Ostens, der intellektuell-rationalen und der spirituell-frommen Weltdeutung ergänzen. Neben der Lesefreude wurden auch Emanzipation von Frau und Mann, Befreiung und Kreativität angestrebt.

Bei den ersten Titeln des Verlags die Waage von 1952 waren mit Goethes genialisch-frechem “Reineke Fuchs” sowie Voltaires begeisterndem Roman “Die Prinzessin von Babylon” zwei intellektuell-rationale Titel, mit Ernst Benz’ “Russische Heiligenlegenden” und der taoistischen Legende “Blumenzauber” aber auch zwei spirituell-fromme Titel vertreten. Es folgten 23 weitere Bände in der Buchreihe “Bücher der Waage” mit vielen Luxusausgaben von privater Hand. Ende der Fünfzigerjahre begann die zweite Buchreihe des Verlags die Waage, die “Bibliothek chinesischer Romane”. Gleich 1959 mit dem zweiten Titel “Jou Pu Tuan” kam es in der damals noch eher prüden Schweiz zum spektakulären Prozess und 1961 zur Verbrennung der ganzen Auflage. Ein zweiter Prozess 1971-1974 um den Roman “Dschu-lin Yä-schi” wurde gegen die Sittenwächter vor Bundesgericht gewonnen und schrieb so Rechtsgeschichte in der Schweiz.

Die Pionierleistungen der Waage liegen vor allem in der Publikation der 5 Bände des chinesischen Sittenromans “Djin Ping Meh” (Schlehenblüten in goldener Vase), einer beeindruckenden Familiengeschichte aus der Ming-Zeit, sowie den 500 Geister- und Liebesgeschichten von Pu Sung-ling, einer einzigartigen Sammlung von chinesischen Volkserzählungen, deren Popularität auch heute noch in allen Schichten des chinesischen Volkes unvergleichlich bleibt. Die weltliterarischen Glanzstücke der Bibliothek chinesischer Romane fanden jedoch wegen ihrer volkssprachlichen und meist anonymen Herkunft bei den Orientalisten kaum Beachtung. Die gepflegten Erstausgaben des Verlags die Waage blieben so jahrelang schwer verkäuflich und kamen erst als billige Lizenz- und Taschenbuchausgaben zu hohen Auflagen und weiter Verbreitung.

Nach dem Tod des Verlaggründers im Mai 2005 entschloss sich seine Tochter Claudia Wiesner Eymard, den Verlag vor der Liquidation zu retten und weiterzuführen. Während sie sich zur Aufgabe machte, den Geist des Verlags die Waage anhand von Literatur aus der ganzen Welt fortbestehen zu lassen, liegt der in Frankreich lebenden diplomierten Sinologin die chinesische Literatur besonders am Herzen.

Mit der im Herbst 2009 erschienen Novelle “Der rote Spatz” vom zeitgenössischen chinesischen Autor Bai Hua kam die bisher einzige Neuerscheinung auf den Markt.